David R. George III
TOS Nr. 1, erschienen bei Cross Cult
(809 S., Original: Crucible McCoy - Provenance of Shadows)
Wer sich auf diesem Blog schon mal etwas genauer umgesehen hat, wird festgestellt haben, dass es sich bei diesem Buch um meinen persönlichen Lieblingsroman unter den Star Trek-Büchern handelt. Entsprechend groß war deshalb meine Freude, dass sich Cross Cult dazu entschieden hat, ihn auf Deutsch herauszubringen. Natürlich lasse ich es mir nicht nehmen, ein weiteres Mal meine Meinung zu diesem Buch zum Besten zu geben; meine Rezension zur Originalversion findet man hier.
Bei "Die Herkunft der Schatten" handelt es sich im Grunde um zwei Geschichten in einem Roman, deren gemeinsamer Ausgangspunkt die legendäre TOS-Folge "Griff in die Geschichte" ist. Wir erinnern uns: In dieser Folge mussten Kirk und Spock dem vorübergehend durchgedrehten McCoy in das New York des Jahres 1930 folgen, da der Schiffsarzt auf fatale Weise die Erdgeschichte veränderte. Tragischerweise bestand der einzige Weg zur Wiederherstellung der alten Zeitlinie darin, den Unfalltod der Sozialarbeiterin Edith Keeler in Kauf zu nehmen, die ansonsten durch McCoys Eingreifen gerettet worden wäre. Nach der kleinen Reparatur an der Zeitlinie war alles wieder wie vorher, allerdings nicht für die drei Zeitreisenden Kirk, Spock und Pille. Das Erlebte in der Vergangenheit hat bei jedem von ihnen Spuren hinterlassen - Ausgangspunkt für diese ganz besondere Trilogie.
Wie ging es in der wiederhergestellten Zeitlinie weiter? Nun, im Großen und Ganzen so, wie wir es in weiten Teilen aus der Serie und den Filmen kennen. Besonders zu Anfang des Buches lassen sich die Kapitel in der "richtigen" Zeit mit herausgeschnittenen Filmszenen vergleichen, die oft als Bonusmaterial auf DVDs vorhanden sind und oftmals die Handlung erst so richtig schlüssig machen. Die zusätzlichen Szenen in diesem Roman sind Lückenfüller im besten Sinne, das heißt sie sind nicht überflüssig, sondern runden das Ganze ab und fügen sich bestens in die bekannten Ereignisse ein. Wo ich in der Serie zuweilen das Gefühl hatte, die Handlung würde viel zu schnell vorangaloppieren und somit etwas oberflächlich bleiben, verleihen die Zusatzszenen dem Geschehen erst so richtig die nötige Tiefe. Für Dr. McCoy, um den es sich im ersten Teil der "Feuertaufe"-Trilogie dreht, hat der unfreiwillige Ausflug in die Vergangenheit zunächst nur subtile Auswirkungen. Er erlebt mit dem Rest der Enterprise-Crew viele Abenteuer, widmet sich der Forschung und führt eine On-Off-Beziehung mit Tonia Barrows (der rothaarigen Dame aus "Landurlaub"). Erst viel später in seinem Leben erkennt McCoy, dass die Begegnung mit dem Wächter der Ewigkeit ihn deutlich mehr beeinflusste als zunächst angenommen. Immer häufiger wird er in seinen Träumen von Erinnerungen gequält, die er eigentlich gar nicht haben sollte und ihm doch sonderbar vertraut erscheinen. Ursache dafür ist jene Zeitlinie, die durch McCoys Eingreifen in die Erdgeschichte entstand.
Auch wenn die "falsche" Zeitlinie von Kirk und Spock wieder korrigiert wurde, so existierte sie doch: eine alternative Realität, in der McCoy keine Möglichkeit hatte, in seine eigene Zeit zurückzukehren. Der Sprung durch den Wächter der Ewigkeit bedeutete für den Arzt gezwungenermaßen einen totalen Neustart. Nach etlichen fruchtlosen Versuchen, Kontakt mit Kirk und Spock aufzunehmen, beschloss McCoy, das Beste aus der Situation zu machen und sich in seinem neuen Leben zurechtzufinden. Abgesehen von anfänglichen Schwierigkeiten gelang ihm dies auch erstaunlich gut. Ausgelöst durch die Rettung Edith Keelers nahm die veränderte Zeitlinie jedoch unaufhaltsam ihren Lauf, und als McCoy nach Jahren endlich das volle Ausmaß seines Eingriffs erkannte, war es längst zu spät, um irgendetwas dagegen zu unternehmen...
Bestünde die Geschichte nur aus dem "richtigen" Zeitstrang, wäre der Roman nicht viel mehr als eine interessante Ergänzung zur bereits bekannten Handlung. Was das Buch aber so einzigartig macht, sind die Kapitel in der alternativen Realität, und diese sind wirklich grandios. Sie haben nur sehr wenig mit Star Trek zu tun, sondern lesen sich einfach nur wie eine ergreifende, stimmige Geschichte über einen Mann, der in einer völlig fremden Umgebung ein neues Leben aufbauen muss. In Science-Fiction-Serien wimmelt es zwar von Storys, in denen die Protagonisten in eine alternative Zeitlinie geraten, aber üblicherweise dreht sich die Handlung darüber, wie sie den Weg zurück schaffen. Hier ist es eben nicht so: McCoy bleibt für den Rest seines Lebens in der Vergangenheit gefangen und kann nur darauf hoffen, die Geschichte nicht allzusehr beeinflusst zu haben. Diese Kapitel sind für mich das beste, was ich in einem Star Trek-Roman gelesen habe.
Das Original ist irgendwie platzsparender geraten... |
Kein Roman ist perfekt, und auch hier gab es zwei Sachen, die für mich winzige Wermutströpfchen darstellen. Die liebenswerte Grantelei, die Leonard McCoys Persönlichkeit ausmacht, ist hier nur in Ansätzen zu finden. Tatsächlich gibt es einige wenige Romane wie zum Beispiel "McCoys Tochter" oder "Ex Machina", die seinen Charakter noch ein bisschen perfekter treffen als "Die Herkunft der Schatten". Aber keine Angst, man erkennt den guten Doktor trotzdem auf jeder Seite sofort wieder, nur wird sein Charakter etwas tragischer dargestellt tagischer und ernster dargestellt als gewohnt. Das zweite Wermutströpfchen betrifft die unrühmliche Rolle, die die Deutschen hier wieder einmal einnehmen... weiter möchte ich nicht darauf eingehen.
Diese kleinen Kritikpunkte sind aber Jammern auf hohem Niveau, denn auch nach zweimaligem Lesen hat mich dieser Roman sehr berührt, und trotz des langsamen Tempos kam an keiner Stelle Langeweile auf. Kennt jemand diese Melancholie, die sich einstellt, wenn sich ein richtig gutes Buch dem Ende nähert? Man will dann gar nicht, dass es aufhört - so jedenfalls ging es mir mit diesem Roman.
Fazit: Der erste "Feuertaufe"-Band ist beileibe kein Trek-Abenteuer für den Massengeschmack. Wer sich jedoch auf diese fette Charakterkeule einlassen kann, wird staunen, wie schnell 800 Seiten vergehen können. Der Leser wird mit zwei wunderbar geschriebenen McCoy-Biografien belohnt, die man nicht so schnell wieder vergisst. "Die Herkunft der Schatten" ist ein ganz besonderer Star Trek-Roman für Genießer, von daher erhält er von mir die absolute Höchstbewertung!
6/5
Charaktere getroffen? ****
Spannung: **
Humor: *
Action: **
Gefühl: *****
originelle Handlung? *****
Anspruch: *****
Vorwissen nötig?
Der eine Handlungsstrang erzählt die Serie nach, der andere erinnert kaum an einen Star Trek-Roman. Neulinge könnten sich daher durchaus mal an diesem Roman versuchen. Einen Versuch ist es jedenfalls wert!